Ein Mensch ist erst vergessen,
wenn sein Name vergessen ist
Leitmotiv
des Stolperstein-Initiators
Gunter Demnig

Antisemitismus

"Judenfeindlichkeit" - Diffamierung, Ausgrenzung und Verfolgung der Menschen jüdischen Glaubens
Unter den Nationalsozialisten wurde aus latent vorhandenen antijüdischen Vorurteilen eine Rassenideologie konstruiert, die Menschen jüdischen Glaubens in bisher nicht gekanntem Maß entwürdigte und entrechtete. Die staatlich organisierte Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung der deutschen und europäischen Juden wurde u.a. durch die "Nürnberger Gesetze" festgeschrieben und bis in die untersten Ebenen der kommunalen Verwaltung durchgesetzt.

Begriffsherkunft

Antisemitismus ist ein relativ moderner Begriff, der ursprünglich auf eine rein sprachwissenschaftliche Unterscheidung ("semitische Sprachen") durch den Göttinger Philologen August Ludwig von Schlözer im 18. Jahrhundert zurückgeht und auf die biblische Ahnentafel Bezug nimmt. Sem war der erste Sohn Noahs (Bibel, Genesis Kap. 10).

Nach mehrfacher Umdeutung der zunächst sprachwissenschaftlich kategorisierenden Bezeichnung wurde "Semit" in der Folgezeit zu einem abwertenden Synonym für "Jude" oder das "Judentum" im Allgemeinen.
Mit Antisemitismus wird diese explizit antijüdische Konnotation des Begriffs aufgenommen. Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet Antisemitismus eine feindliche oder abwertende Haltung gegen alles, was mit dem jüdischen Glauben in Verbindung gebracht werden kann.

Die Diskriminierung einer Glaubensgemeinschaft

Die monotheistische jüdische Religion nahm bereits in der Antike eine Sonderstellung ein und wurde von anderen, konkurrierenden Kulturen angefeindet und verfolgt. Unter römischer Herrschaft wurden die religösen Stätten der Juden im damaligen Jerusalem zerstört und ein Siedlungsverbot verhängt. Damit hatten die Juden ihren eigenen Staat verloren und wurden über die folgenden Jahrhunderte in ganz Europa zerstreut ("Jüdische Diaspora").  Im Mittelalter wurden sie als heimatlose, unchristliche oder schlicht andersartige Minderheit wahrgenommen und bildeten die Projektionsfläche für viele Formen einer allgemeinen Fremdenfeindlichkeit. Bis in die Zeit der europäischen Aufklärung hielten sich antike Stereotype und Vorurteile, die zur Ausgrenzung und sozialen Diskriminierung der Menschen jüdischen Glaubens führten.  Erst in der Folge der Französischen Revolution konnte sich eine allmähliche Gleichstellung und Integration der Juden in die christlichen Gesellschaften entwickeln ("Jüdische Emanzipation").

Antisemitische Haltungen und Vorurteile blieben jedoch latent vorhanden und traten auch im 19. und frühen 20. Jahrhundert immer wieder zum Vorschein.  Sie äußerten sich in verbalen Diffamierungen und Schuldzuweisungen, wann immer es opportun schien, ein Feindbild auf eine wehrlose - jüdische - Minderheit zu projizieren. 

Unter den Nationalsozialisten wurden antijüdischen Vorurteile mit einer menschenverachtenden Rassenideologie verknüpft. Der rassistische Antisemitismus hatte nicht mehr nur die Ausgrenzung sondern gar die Vernichtung der Juden zum Ziel.

Mit der "Machtergreifung" wurde die judenfeindliche Rassenideologie zum Staatsprinzip und sollte schrittweise auf allen Ebenen der Verwaltung institutionalisiert werden.

 

1933-1945: Organisierte Verfolgung der Juden

Bereits kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung erfolgte die politische Gleichschaltung. Die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit der lokalen Presse wurde teils unter Zwang, teils aus Überzeugung zugunsten einer nationalsozialistischen Berichterstattung aufgegeben, und so fand der verbale Antisemitismus bereits früh öffentliche Verbreitung.

In einer der ersten öffentlich wahrnehmbaren NS-Aktion gegen die jüdische Bevölkerung nach der "Machtergreifung" wurde bereits 1933 reichsweit zum Waren- und Kosumboykott aufgerufen.

In der Folgezeit wurde die judenfeindliche NS-Ideologie vorrangig über Propaganda verbreitet.

Mit Verabschiedung der "Nürnberger Gesetze" im Jahr 1935 wurde die Ausgrenzung der Juden gesetzlich festgeschreiben. Juden galten fortan nicht mehr als Reichsbürger und verloren ihre vollen politischen Rechte. Durch Sonderregeln im Privat- und Familienrecht wurden sämtliche Lebensbereiche (Ausbildung, Beruf, Wohnort, Familienstand)  der jüdischen Bevölkerung eingeschränkt und kontrolliert.

Der vom NS-Regime propagierte Antisemitismus zielte letzlich auf die vollständige Vernichtung der europäischen Juden und wurde von 1941 bis 1945 systematisch, ab 1942 auch mit industriellen Methoden durchgeführt.
Dem Völkermord, der heute auch als Holocaust (griech.) oder Shoah (hebr.) bezeichnet wird, fielen etwa 6 Millionen Menschen zum Opfer.

Seit 1953 erinnert die zentrale Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem mit einem eigenen Forschungs- und Dokumentationszentrum an die Opfer der Shoah. 

Dsikriminierung der Juden in Stade

Die politische Gleichschaltung wurde auch in Stade durchgesetzt. Dabei soll die Einschränkung der Pressefreiheit auf wenig Widerstand gestoßen sein. Der Historiker Hartmut Lohmann konnte anhand vielfältiger Belege rekonstruieren, dass eine NS-freundliche Berichterstattung auch und besonders in der damals führenden Lokalpresse ("Stader Tageblatt") erfolgte.  Antisemitische Kommentare und Berichte waren demnach keine Ausnahme, die offene Unterstützung der NS-Propaganda war eher die Regel.   

Der für den  1. April 1933 von den Nationalsozialisten verhängte "Boykottag" wurde auch in Stade von SA-Truppen durchgesetzt und organisiert. Große Teile der Bevölkerung standen der Aktion jedoch skeptisch bis ablehnend gegenüber, so dass es den NS-Funktionären nicht gelang, Übergriffe zu provozieren. Der Tag verlief in Stade ohne größere Zwischenfälle[1].

Einen deutlichen sichtbaren Hinweis auf die Umsetzung der antisemitischen Politik konnten Besucher der Stadt ab 1935 bereits an den Ortseingängen erkennen. Hier hatte man am 29. September Schilder mit der Aufschrift "Juden sind in Stade unerwünscht" anbringen lassen[2].

Im September 1936 kam es zu einem Übergriff auf den christlichen Pastor Johann Behrens, der von SA-Leuten begleitet und als "Judenknecht" tituliert durch die Stader Innenstadt marschieren musste[3].

Seit dem Novemberpogrom von 1938 war jüdisches Leben auch in Stade von Ausgrenzung, Aggression und Militanz bedroht. Nachdem die Nationalsozialisten am Abend des 9.November 1938 zunächst eine "Gedenkveranstaltung" am Schwarzen Berg abgehalten hatten,  kam es in der Nacht zu mehreren gewalttätigen Übergriffen gegen jüdische Einrichtungen. Dabei wurden unter anderem im  Bankhaus Friedländer und Wertheim Fensterscheiben und Inneneinrichtung zerstört[4].

Der jüdische Friedhof wurde auf Anordnung des Bürgermeisters eingeebnet. Die Grabsteine wurden auf den städtischen Bauhof verbracht und wurden später bis auf wenige Ausnahmen zerstört. Weitere jüdische Bestattungen wurden untersagt.

Die in Stade verbliebenen Mitglieder der zahlenmäßig kleinen jüdischen Gemeinde wurden mit wenigen Ausnahmen zwischen 1939 und 1941 deportiert und kamen in NS-Konzentrationslagern ums Leben.

 

Verweise und Links

Webseite der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem

Wikipedia-Eintrag zu Antisemitismus Wikipedia-Eintrag zu den "Nürnberger Gesetzen"

  • [1] Hartmut Lohmann, Der Landkreis Stade in der Zeit des Nationalsozialismus, S.294ff.
  • [2] Der 29. September wurde unter Verweis auf diesen offen antisemitischen Akt der Stadt zeitweilig als Datum für einen Gedenktag vorgeschlagen. Vgl. "Endloser Stelenstreit" in Hamburger Abendblatt vom 1.12.1999
  • [3] Der Fall "Pastor Behrens" wird eingehend beschrieben in: Hartmut Lohmann, Der Landkreis Stade in der Zeit des Nationalsozialismus, S.334ff.
  • [4] vgl. Hartmut Lohmann, Der Landkreis Stade in der Zeit des Nationalsozialismus, S.305ff.

Mit freundlicher Unterstützung von