Ein Mensch ist erst vergessen,
wenn sein Name vergessen ist
Leitmotiv
des Stolperstein-Initiators
Gunter Demnig

Anmerkungen zu den Verlegeorten

Die Stolpersteine des Projekts von Gunter Demnig werden an den ehemaligen Wohnorten der Opfer verlegt.

Da sich das Stadtbild im Lauf der letzten Jahrzehnte teilweise stark verändert hat, ist heute zum Teil an einigen Orten nicht mehr nachzuvollziehen, wie das tatsächliche Wohnumfeld der Betroffenen ausgesehen hat.
Im historischen Altstadtbereich der Stadt Stade sowie den schon früh besiedelten Vorstädten und Gemeinden sind die Unterschiede kaum wahrzunehmen, in den Außenbereichen hat sich das Umfeld jedoch teilweise stark verändert.

Kaum verändert: Wohnorte in der historischen Altstadt

Der historische Altstadtkern der Hansestadt Stade wurde in den 1970er Jahren behutsam saniert und restauriert. Einige Straßenzüge mit ihren spätmittelalterlichen Gebäudeensembles konnten erhalten werden und vermitteln noch immer einen lebendigen Eindruck der Wohnsituation des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Stade, Kalkmühlenstraße.
Links eine historische Postkarte (um 1937),  rechts eine  Aufnahme aus dem Jahr 2014.

Das Beispiel der Kalkmühlenstraße (Wohnort von Elisabeth Meyer) zeigt, dass sich diese Straße unterhalb des Hahnentors im Lauf der Jahrzehnte nur wenig verändert hat.
Das aktuelle Stadtbild lässt die Wohnsituation zum Ende der 1930er Jahre auch heute noch deutlich erahnen.

Elisabeth Meyer wurde hier ein sog. "Rundfunkvergehen" zur Last gelegt, weil sie "feindliche" Radiosender gehört haben soll. Auch heute ist noch nachzuspüren, dass ein solches "Vergehen" in der engen Straße kaum unbemerkt bleiben konnte oder vielleicht gar vorsätzlich denunziert wurde.

 

Stark verändert: Wohnorte im Sanierungsgebiet der 1970er Jahre

Am Rande des Altstadtkerns haben die Umgestaltungen der Nachkriegszeit das Stadtbild teilweise wesentlich verändert. Die behutsame Sanierung der heute vielfach denkmalgeschützen Gebäude in den Straßenzügen zwischen Schiffertor und Salztor steht im deutlichen Kontrast zu den oft schmucklosen Bauten der 1970er Jahre.

Das Beispiel der Inselstraße (Wohnort von Diedrich Matthies) zeigt deutliche Veränderungen im Stadtbild. Die enge Bebauung der Verbindungsstraße zwischen Pferdemarkt ist einem mehrspurigen Ausbau der Fahrbahn gewichen. Moderne Wohn- und Geschäfthäuser prägen das Bild. Heute lässt sich die Wohn- und Lebenssituation zum Ende der 1930er kaum mehr erahnen.

  • oben: Stade, Inselstraße-Stockhausstraße, Aufnahme von 2014
    links: Historische Aufnahme (um 1905)

 

Das Quartier an der Camper Höhe

Relativ wenig verändert haben sich auch die im 19. Jahrhundert besiedelten Gebiete am Südrand der ehemaligen Befestigungsanlagen. Während der dörflich geprägte Ortskern von Campe im Bereich der Harburger Straße wesentlich umgestaltet wurde, vermittelt das Quartier zwischen Thuner Straße, Harsefelder Straße und Camper Höhe mit seinen teils eindrucksvollen Villen aus der Gründerzeit heute noch immer einen guten Eindruck von der Wohn- und Lebenssituation in den 1930er Jahren.

In diesem Bezirk hatten einige Mitglieder der jüdischen Gemeinde ihren Wohnort: hier lebten etwa die Familien der beiden Inhaber des Bankhauses  Friedländer und Wertheim (vgl. Moritz Wertheim), die Viehhändler Davids und de Jonge sowie die Witwe Frieda Freudenstein, nachdem diese ein traditionsreiches Haus in der Altstadt aufgeben musste. Der jüdische Friedhof, von dem nach Zwangseinebnung durch die Nationalsozialisten nur eine Grabplatte und der Grabstein des 1920 verstorbenen Louis Freudenstein erhalten blieb, liegt nur wenige hundert Meter entfernt.

In dieser Nachbarschaft wurde 1931 auch das städtische Krankenhaus errichtet (heute Polizeiinspektion), das seinerzeit zu den größten Bauvorhaben zählte.

Heute nicht mehr erhalten ist das ehemalige Wohnhaus von Egon Rösing in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gebäudekomplex des Gymnasiums Athenaeum.

Veränderungen um 1930: die Siedlungen in damaligen Randbezirken - heute Kopenkamp und Stade Süd

Bereits den späten 1920er Jahren begann der genossenschaftliche Wohnungsbau in den heutigen Stadtteilen "Kopenkamp" und Campe Süd. Bis dahin waren diese Gebiete ungenutzte Brachflächen (Kopenkamp) oder wurden von der Saline und der alten Rennbahn dominiert (Campe). Der ehemaligen Wohnorte von Minna Querhammer in  Kopenkamp sowie der Familien Waller und Vogel (Sachsenviertel)  waren in den 1930er Jahren Neubaugebiete und befanden sich noch in absoluter Randlage.

Heute sind die Stadtteile zusammengewachsen und weisen eine durchgängige Wohnbebauung auf.

 

Verschwundene Wohnorte: der Stadtteil Brunshausen

Der Stadtteil Brunshausen an der Schwingemündung war bis zur Eingemeindung 1927 eigenständig und zählte zu den beliebten Ausflugszielen der Stader Bevölkerung. Von der eigenen Infrastruktur aus Wohn- und Gewerbegebieten, einer Schule und mehreren Ausflugslokalen zeugen heute nur noch die wenig verbliebenen Häuser in Stadersand.

Neben einer Ziegelei zählte die Glashütte Brunshausen zu den größeren Arbeitgebern. Im Umfeld dieses Betriebs bestand eine Siedlung für Arbeiter mit mehreren Wohneinheiten. In einem der Häuser wohnte Peter Jagemann.

Nach einer Sturmflut wurden die bereits stark sanierungsbedürftigen Wohnhäuser aufgegeben. Im Zuge der Hafenerweiterung und Ansiedlung großer Industriebetriebe wurde der ehemalige Stadtteil vollständig umgestaltet.

Heute deutet fast nichts mehr auf die Siedlung Brunshausen hin. Der Stolperstein für Peter Jagemann liegt etwas unscheinbar am Rande des Radwegs vor einer Brachfläche.

 

Orte mit biografischen Bezügen zu den Opfern

Städtisches Krankenhaus

Das größte und kostspieligste Bauvorhaben der späten 1920er Jahre war die Errichtung des neuen städtischen Krankenhauses in der Teichstraße. Es wurde 1931 eröffnet[1] und blieb bis zum Neubau des Klinikums am Schwarzen Berg in Betrieb. Heute ist hier die Polizeiinspektion Stade untergebracht.

Nach Einführung der Rassengesetze wurden in diesem Krankenhaus auf Anordnung des Erbgesundheitsgerichts auch Zwangssterilisationen durchgeführt. Zu einem der Opfer zählte auch Otto Davids.

 

Peter-Harms-Stift

Das Peter-Harms-Stift war ein von der Stadt Stade eingerichtetes "Alters- und Siechenheim" am Pferdemarkt. Es wurde 1903 im ehemaligen Gymnasiumsgebäude gegründet. Ab 1906 befand sich dort auch eine Diakonissen-Station. Das Peter-Harms-Stift wurde 1975 abgerissen. An der Stelle des historischen Gebäudes entstand das Hertie-Kaufhaus. Die Stiftung wurde 1979 in die "Vereinigte Stiftungen bei der Stadt Stade - Peter-Harms-Stiftung, Nagelstiftung, St. Johanniskloster" überführt.

Vor ihrer Verlegung in die Rothenburger Anstalten wurde Minna Querhammer ein Jahr im Peter-Harms-Stift betreut.

 

 

"Alte Feuerwache"

Das Gebäude an der Kleinen Beguinenstraße, das heute den kritisierten Namen "Alte Feuerwache" trägt, war bis 2003 Sitz des städtischen Jugendamtes.

Vor 1945 war hier die Stader Nebenstelle der Gestapo (Geheime Staatspolizei) untergebracht. Während der Verhöre und Inhaftierungen soll es  auch zu Folterungen und anderen Verbrechen gegen Menschen gekommen sein.

Wilhelmine Siebe nahm sich wegen einer Vorladung der Gestapo das Leben.

 

 
  • [1] Quelle: "Vom Landeplatz zum Seehafen - Geschichte und Perspektive der Hansestadt Stade"; Andreas Schäfer, Jürgen Bohmbach; Stade 2009; S. 86f.

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