Ein Mensch ist erst vergessen,
wenn sein Name vergessen ist
Leitmotiv
des Stolperstein-Initiators
Gunter Demnig

Stolpersteine in der Region Stade

Zur Geschichte der Stolperstein-Verlegung in Stade

Eine intensive Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus in Stade begann erst in den frühen 1990er Jahren. Der Historiker Hartmut Lohmann hatte 1991 eine umfassende Untersuchung über den "Landkreis Stade in der Zeit des Nationalsozialismus" vorgelegt, die unter dem provokanten Titel "Hier war doch alles nicht so schlimm" die lange Phase des öffentlichen Schweigens und Verdrängens beendete.
In der Folgezeit wurden aufgrund mehrerer Initiativen die ersten Gedenk- und Erinnerungsorte für die Opfer des NS-Rassenwahns etabliert.  Weitere Veröffentlichungen, vorrangig vom Stader Stadtarchiv unter der Leitung von Dr. Jürgen Bohmbach herausgegeben, beschäftigten sich mit dem Thema "Alltag und Verfolgung" im Nationalsozialismus und beleuchteten auch die Verbrechen an verschiedenen Opfergruppen in der Region. Die Schicksale von Zwangsarbeitern, religiösen Glaubensgemeinschaften,  politisch Verfolgten und Opfern der Euthanasie sind seitdem gut dokumentiert.

Die Verlegung der ersten Stader Stolpersteine im April 2010 gingen dennoch mehrere intensiv geführte Diskussionen um diese Form des Erinnerns voraus.

Im März 2004 entschieden Rat und Verwaltungsausschuss zunächst, keine Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig in der Schwingestadt zu verlegen. Die ablehnende Haltung wurde unter anderem damit begründet, dass in Stade - etwa mit den Gedenkstelen Am Sande sowie durch eine Gedenkstätte auf dem Friedhof Campe - bereits alternative Orte und Formen des Erinnerns geschaffen worden waren[1].

Diese ablehnende Entscheidung wurde im Jahr 2009 allerdings revidiert: nach Presseberichten zur Verlegung eines Stolpersteins im Alten Land fanden sich unter Stader Bürgern 25 Paten, die sich nachdrücklich und auch finanziell für die Umsetzung des Projekts in ihrer Stadt einsetzen.
Das große öffentliche Interesse und die Kritik an der bisherigen Haltung der Stadt, sorgte in Rat und Verwaltung für eine erneute, teils kontrovers geführte Diskussionen.  Nach monatelanger Debatte stimmte der Stadtrat nun mehrheitlich dafür, insgesamt 21 Stolpersteine in Stade zu verlegen.


Die Stadt übernahm die Initiative und koordinierte die Anfragen und Vorschläge.
Begleitend wurde vom damaligen Stadtarchivar Dr. Jürgen Bohmbach eine weitere Broschüre verfasst, die über die Opfer in Stade informiert.

 

Eine Schülerin des Athenaeums erinnert an Adolf Becker, während Gunter Demnig den Stolperstein am Hagedorn 8 setzt.
Foto: Dr. Lars Hellwinkel, Gymnasium Athenaeum Stade

Am 18. April 2010 besuchte Gunter Demnig die Hansestadt, um zunächst an einer einführenden Abendveranstaltung mit anschließender Diskussion teilzunehmen.
Am Morgen des folgenden Tages wurde der erste Stein von ihm ins Pflaster der Fußgängerzone am Rathaus  beim Eingang Bauteil B, Hagedorn 6 gesetzt. An diesem Ort mit der früheren Anschrift  "Hagedorn 8" war bis zum Jahr 1939 Adolf Becker zuhause. Er wurde von hier in die Rotenburger Anstalten eingewiesen und kam 1941 als Opfer der NS-Euthanasie in der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster ums Leben.

Neben Vertretern der Hansestadt Stade nahmen auch Angehörige der Opfer, die Paten der einzelnen Steine und eine Schulklasse des Stader Gymnasiums Athenaeum bei der Verlegung teil. Die Schüler der Klasse 9 F II unter der Leitung von Herrn Dr. Hellwinkel trugen an den jeweiligen Verlegeorten die Geschichten vom Leben und Sterben der ehemaligen Stader Bürger vor[2].

Die Verlegung der Stader Stolpersteine erfolgte an zwei Terminen.
Am 19. April 2010 wurden dabei zunächst insgesamt 9 Stolpersteine eingesetzt.

Weitere 12 Steine wurden am 21. Februar 2011 verlegt.
Auch die zweite Aktion des Kölner Künstlers wurde  von Angehörigen der Opfer und den Paten der Steine begleitet. Erneut trugen Stader SchülerInnen (Klasse 9 L des Gymnasiums Athenaeum und Klasse 9 F2 des Vincent-Lübeck-Gymnasiums unter der Leitung von Herrn Wauschkies) biografische Informationen vor.
 

 

1933-1945: Opfer der NS-Verfolgung in Stade

Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten ist die NSDAP auch in Stade bei den Reichs- und Landtagswahlen 1930 und 1932 sowie bei Volksentscheiden erfolgreich. Nicht zuletzt aufgrund der Stärke der organisierten städtischen Arbeiterschaft erhält die Partei hier jedoch weniger Zuspruch als in den ländlichen Geestgemeinden.

Bei der Kommunalwahl vom 12. März 1933 erreicht die NSDAP dann mit 40.9% der Stimmen einen Sitz mehr als die SPD. Fortan wird auch in Stade die politische und gesellschaftliche Gleichschaltung durchgeführt. Die Partei der Kommunisten wird zerschlagen, Funktionäre der SPD werden verhaftet und das Gewerkschaftshaus wird besetzt. Eine neue Ortssatzung hebt 1934 die zuvor schon beseitigte demokratische Gemeindeverfassung endgültig auf.

Auch die Mitglieder der kleinen jüdischen Gemeinde zu Stade werden von Beginn an diskriminiert und verfolgt. Während die Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen - bis auf eine Person - fliehen können, überlebt von der Elterngeneration nur das - 1939 nach London emigrierte - Ehepaar Friedlaender die Verfolgung. Zwei weitere Menschen werden durch christliche Eheschließung geschützt.

Die menschenverachtende NS-Rassenideologie grenzte ethnische und religöse Minderheiten, aber auch Menschen mit Behinderung aus.
Bereits ab 1935 wurde die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas drangsaliert, die Mitglieder der Stader Gemeinde wurden teilweise mehrfach verhaftet und in NS-Lager deportiert.
Zur "Verhütung erbkranken Nachwuchses" wurden Männer und Frauen zwangsweise sterilisiert, und im Rahmen der sogenannten "Euthanasie" kamen Menschen allein aufgrund ihrer psychischen oder körperlichen Erkrankungen in "Heilanstalten" oder Tötungseinrichtungen ums Leben - darunter auch minderjährige Kinder.

Mit Beginn des Krieges mussten Menschen aus den besetzten Gebieten in Polen und der Sowjetunion auch im Landkreis Stade Zwangsarbeit leisten. Ab 1943 wurden die Kinder der Zwangsarbeiterinnen in "fremdvölkischen Kinderheimen" untergebracht, wo 65 von ihnen ums Leben kamen.

18 in Stade lebende oder hier geborene Personen werden in Konzentrations- oder Vernichtungslagern ermordet[3].

Gedenkorte in Stade

In der kontrovers geführten Diskussion um die Stader Stolpersteine wurde mehrfach auf die bereits zuvor gewählten Formen des Erinnerns verwiesen.
Neben zahlreichen Publikationen aus dem Stadtarchiv der Hansestadt zählen dazu auch mehrere öffentliche Gedenkstätten, die namentlich an die Opfer des Nationalsozialismus in Stadt und Kreis erinnern.
Im Jahr 2015 wurden sämtliche Stelen, Gedenksteine und Grabstätten von Michael Quelle erfasst und dokumentiert. Eine vollständige Übersicht kann seither auch im Internet abgerufen werden[4].
 

  • [1] vgl.: Beschlussvorlage 521/04 für den Verwaltungsausschuss der Stadt Stade vom 03.03.2004:
    "Die Initiative Stolpersteine wurde und wird grundsätzlich positiv gesehen. [...] Bei der Abwägung gab aber den Ausschlag, daß in Stade eine andere Form des Erinnerns gewählt worden ist. Mit den Gedenkstelen am Sand wie auch den Gedenksteinen für die weiteren Opfer des Nationalsozialismus werden die Namen genannt, um so eine Indentifizierung zu ermöglichen. Daneben sind in den einschlägigen Veröffentlichungen zu einem großen Teil auch EInzelschicksale dargestellt worden, die so eine emotionale Betroffenheit ermöglichen. Es wird daher vorgeschlagen, die Genehmigung nicht zu erteilen."
  • [2] Quelle: Hamburger Abendblatt vom 20.04.2010
  • [3] Quelle: Dr. Jürgen Bohmbach in "STADE - 1000jährige Stadt. Ein kurzer Gang durch die Stader Stadtgeschichte", Hg.: Stadt Stade, 5. Aufl., Stade 2006, S.15f.
  • [4] vgl. Michael Quelle: "Gedenkstätten und Gräber von Opfern des Nationalsozialismus im Landkreis Stade"
    Dokumentation bei michael-quelle.de

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